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    Daily Doses of Perception/80

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    Das Brot von gestern schmeckt heute wie Pappe. Ich notiere das nach dem zweiten Kaffee, während draußen die Welt ihre üblichen Kapriolen schlägt und ich versuche, den Tag in eine Form zu bringen, die weder Plan noch Chaos ist, sondern irgendwas dazwischen.

    Staubsaugen, Balkon für fünf Minuten, dann war die Sonne weg. So läuft das hier.

    Alles ist Timing, nichts davon stimmt.

    Graz hängt immer noch im Schock vom Dienstag. Das Schulmassaker am BORG Dreierschützengasse klebt an der Stadt wie schlechte Farbe. Elf Tote, darunter zehn Schüler und eine Lehrerin. Ein 21-jähriger Ex-Schüler mit legal erworbenen Waffen. Bundeskanzler Stocker – nicht mehr Nehammer, das ist seit März Vergangenheit – gibt den Staatsmann, verspricht härtere Waffengesetze, psychologische Checks. Als würde man mit Pflastern einen Dammbruch stopfen.

    Die Kommentarspalten kochen, jeder weiß es besser, keiner weiß wirklich was. Und gleichzeitig denke ich: Der Typ hat die Waffen legal gekauft, einen psychologischen Test bestanden, war niemandem aufgefallen.

    Bis er nicht mehr war, wer er vorgab zu sein.

    Währenddessen eskaliert der Nahe Osten komplett. Israel hat iranische Atomanlagen bombardiert, mehrere hochrangige Militärführer getötet, darunter den Kommandeur der Revolutionsgarden. Der Iran feuert mit Drohnen und Raketen zurück, Einschläge in Tel Aviv, Ausnahmezustand in Israel. Die USA ziehen diplomatisches Personal ab, Deutschland unter Merz ruft zur Deeskalation auf. Besorgnis Domino.

    Das ist aber alles auch nur noch eine Routine-Eskalation mehr. Ein Galerie Moment, Wirrniss gehrinverstopfter Ideologie. Ich entdecke ein kalten Kächeln im Spiegel. Jungfrauen haben Hochkonjunktur.

    Zwischen den Nachrichten switche ich durch meine Projekte. Anything in a Nutshell, AI Magick, die ganzen Domains, die wie Inseln in einem digitalen Meer treiben. Alles miteinander verbunden, nichts davon fertig. Stabiles Chaos, wie ich das mal genannt hab. Das passt zur Zeit.

    Google Veo liefert drei kostenlose AI-Videos täglich. Die Technik ist beeindruckend, aber die Resultate bleiben seltsam leer. Als würde die Maschine träumen, aber vergessen haben, wovon. NotebookLM macht aus meinen Texten Audio-Shorts – mechanisch-freundlich, aber es funktioniert. Eine zusätzliche Dimension.

    Der Chat mit der ukrainischen Kinderbuchautorin ist beendet, bevor er richtig angefangen hat. Ich hab sie gefragt, wie sie es vor sich rechtfertigt, ihre Kinder in Kiew zu lassen, während täglich Raketen einschlagen. Einfach so. Direkt. Weil mich das interessiert hat. Sie fand das wohl zu direkt. Funkstille seit gestern.

    Vielleicht war es taktlos. Vielleicht war es ehrlich. Der Unterschied ist mir inzwischen egal geworden. Wenn man nicht mehr fragen darf, wie Menschen in unmöglichen Situationen Entscheidungen treffen, worüber soll man dann noch reden? Über das Wetter?

    Was mich beschäftigt: Wie lebt man eigentlich in so einer Zeit? Wie macht man Alltag, wenn permanent alles explodiert? In Israel verstecken sich Familien in Bunkern und fragen sich, ob die nächste Rakete ihre Hausnummer hat. In Graz fragen sich Eltern, ob ihre Kinder morgen sicher aus der Schule kommen.

    Und ich frage mich, während ich zwischen Weltuntergangsblabla und Staubsauger pendle, ob das die neue Normalität ist: Leben im Dauermodus der knapp verhinderten Katastrophe. Aber auf keinen Fall ist es angebracht, immer überrascht zu tun. Jedes Volk bekommt was es verdient, mehr oder weniger. Harte aber herzliche Grüße, ihr Intelligenzagent.

    Um sechs ist Kochzeit. Vielleicht danach noch in den Park, vielleicht auch nicht. Ich improvisiere, wie immer. Pläne machen mich unruhig, aber Routine ohne Plan ist okay.

    Gerade beim Zwiebeln schneiden kommt die nächste Bomber ein. Minnesota. Ein Attentäter, der sich als Polizist ausgab, hat zwei demokratische State Legislators angegriffen. Melissa Hortman und ihr Mann tot, Senator Hoffman und seine Frau angeschossen aber noch am Leben. Mit Manifest und Zielliste. Gezielte politische Gewalt, während draußen Anti-Trump-Proteste geplant sind.

    Graz, Iran, Israel, Minnesota. Alles an einem Tag. Ich schneide weiter Zwiebeln. So läuft das halt 2025, während das Abendessen köchelt, bröckelt die Welt ein bisschen mehr. Ist auch nur ein Samstag mit Wonne auf Pump.

    Die Nachrichten trubeln weiter. Irgendwann verschwimmt alles zu einem großen Rauschen von Krise, Alarm und Breaking News.

    Was bleibt, ist das Gefühl, Zeitzeuge zu sein. Nicht von Geschichte, sondern von diesem seltsamen Moment, wo alles gleichzeitig passiert und sich trotzdem nichts bewegt. Wo die Welt brennt und man trotzdem Staubsaugen muss.

    If it’s not posted, it isn’t real, isn’t it? Stimmt immer noch. Aber manchmal frage ich mich, ob das Posten das Reale nicht auch zerstört. Ob wir durch das permanente Dokumentieren vergessen, wie sich die Dinge anfühlen, wenn keiner zuschaut.

    Morgen ist das Brot von heute auch alt. Aber heute ist es frisch, und das muss reichen.

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